Januar 23, 2018
Rund 150 LandFrauen aus ganz Deutschland diskutieren anlässlich der Internationalen Grünen Woche in Berlin am Samstag über das „Bäuerinnenwohl“, denn die Debatte um die Lebensbedingungen auf den Höfen wird bisher nicht geführt. Die Themen Tierwohl und auch Ackerbau dominieren die öffentliche Diskussion und es ist nicht klar, wohin der politische Kurs führt. Hinzu kommen die rasanten gesellschaftlichen Veränderungen unserer Zeit mit einem neuen Verbraucherbewusstsein und der Digitalisierung der Landwirtschaft. In diesem Spannungsfeld richtet der Deutsche LandFrauenverband (dlv) besonderes Augenmerk auf die Rolle der Frauen auf den Höfen.
„Ohne Wirtschaftlichkeit schaffen wir es nicht – ohne Menschlichkeit ertragen wir es nicht. Die Bäuerinnen stehen im Mittelpunkt der Drehscheibe Hof. Sie kennen die vielen zwischenmenschlichen Faktoren, die im Zusammenleben und –arbeiten tagtäglich den Erfolg aber auch das Scheitern mitgestalten“, erklärt Brigitte Scherb, dlv Präsidentin. „Die Frauen auf den Höfen beklagen sich nicht. Umso mehr ist es Aufgabe des dlv, für die Frauen den Stein ins Rollen zu bringen. Deshalb ist es uns so wichtig, hier endlich mit Zahlen und Fakten argumentieren zu können. Zu lange warten wir schon auf grünes Licht vom Bundeslandwirtschaftsministerium für eine bundesweite Studie zur Situation der Frauen auf den Höfen, die wir seit gefühlten Ewigkeiten auf den Weg bringen wollen.“
Die Ergebnisse der top-agrar Glücksumfrage geben erste, überraschende Anhaltspunkte zur Zufriedenheit der Bäuerinnen: Wenig Geld, viel Kritik, aber zufrieden, so der Tenor der Befragten. Prof. Dr. Claudia Neu analysiert in ihrem Vortrag die Ergebnisse der Befragung. Sie zeigt auf, dass „eine hohe persönliche Zufriedenheit mit einer gesellschaftlichen Unsicherheit korreliert – bei den Bauern wie beim Rest der Gesellschaft.“ Gefühlte Einflusslosigkeit gehe mit hohen Zufriedenheitswerten einher – ein Schutzmechanismus. „Nach der Arbeit am Vortrag war ich erschüttert“, zieht die Wissenschaftlerin Bilanz. „Es besteht die Befürchtung, dass die Situation der Frauen auf den Höfen schlimmer ist, als es auf den ersten Blick scheint. Die Bauernschaft befindet sich zwischen Marginalisierung und Selbstmarginalisierung. Wir brauchen eine Studie, die die Situation der Frauen auf den Höfen in den Blick nimmt.“
„Bei ihr die Kraft, bei ihm die Macht“, fragt Armin Huttenlocher, PR-Spezialist, zum Einstieg in seinen Vortrag und provoziert mit seiner These, dass LandFrauen viel mit Graugänsen gemeinsam hätten. Sein Blick von außen bestätigt, dass die traditionelle Rollenverteilung der landwirtschaftlichen Familien noch gilt: die Bäuerinnen übernehmen die sozialen Aufgaben und sie tragen die Hauptlast für den Zusammenhalt des Hofs. Das politische Engagement überlassen sie ihrem Mann. Oft handelt dieser in Absprache mit den Frauen, sie selbst bleiben aber in der zweiten Reihe und sind mit der Aufteilung ganz zufrieden. Diese Ergebnisse verknüpfte Armine Huttenlocher mit einem Appell: Bei den Graugänsen zum Beispiel werden Entscheidungen über Abflugzeiten und Flugrouten immer häufiger von den weiblichen Tieren getroffen. Sie fliegen an der Spitze. Das gleiche würde er von den Frauen auf den Höfen erwarten. „Das Rollenbild der LandFrauen müsste neue Stärken entwickeln. Ich wundere mich, dass in diesem Bereich so viel männliche Dominanz geduldet wird und Bäuerinnen keine Parität in den Verbänden fordern. Die Gesellschaft wird nicht einfach dafür bereit sein, Frauen mehr Mitverantwortung zu geben. Die Frauen müssen dafür kämpfen, dass sich die Strukturen verändern.“
Bereichert durch die beiden Präsentationen diskutieren im Anschluss Marlene Mortler, MdB, Ingrid Pahlmann, Dr. Kirsten Tackmann, MdB, Hermann Grupe, MdL, und Petra Bentkämper, dlv-Präsidiumsmitglied. Daniela Ruhe, dlv-Hauptgeschäftsführerin, moderierte die Runde. Marlene Mortler betonte, dass es keine nachvollziehbaren Gründe gäbe, warum die Studie zur Situation der Frauen auf den Höfen nicht auf den Weg gebracht würde. Sie werde sich persönlich dafür einsetzen. Ingrid Pahlmann erklärte, dass Politik Rahmenbedingungen schaffen könne, aber dafür die Bedürfnisse des Ehrenamts kennen müsse. Ehrenamtliche Unterstützung solle daher von der Politik eingefordert werden, auch auf kommunaler Ebene. Dr. Kirsten Tackmann ergänzt, dass Agrarpolitik gleichzeitig Sozialpolitik sein müsse. Sie habe die geschlechterpolitische Agrarförderung im Blick. Generell gelte, um die Gesellschaft insgesamt frauen- und familienfreundlicher zu gestalten, müssten Sorgeleistungen von Kinderbetreuung bis hin zur Pflege stärker anerkannt werden. Hermann Grupe ist der Meinung, dass die Mitarbeit bei den LandFrauen die beste Möglichkeit sei, um in die Gesellschaft zu wirken. Petra Bentkämper bestätigt dies und schließt die Diskussion mit ihrem Aufruf, dass sich Frauen ihrer Stärke bewusst eine sollten. Auch wenn es nicht immer einfach ist, gelte es immer wieder zu motivieren und den Dialog zu suchen.
Agnes Witschen, dlv-Präsidiumsmitglied, zieht Bilanzund zeigt sich erfreut über die starke Unterstützung, die die geplante Studie zur Situation der Frauen auf den Höfen von allen Seiten erfahren habe. Sie hoffe, dass hier nun bald der Startschuss fallen könne. Sie dankt allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern für die rege und konstruktive Teilhabe und weist darauf hin, dass der dlv weiter an dem Thema arbeite und es nicht nur in seinem Positionspapier „Mehr Wertschätzung und Förderung für Frauen auf den Höfen“ im Blick habe.
Besonderen Dank richtet sie an Jens Kollmann, Chefsyndikus der Landwirtschaftlichen Rentenbank, für die Unterstützung über viele Jahre.
Hier lesen Sie die Pressemitteilung als PDF.
Aktiv für Frauen und ihre Familien im ländlichen Raum:
Über den Deutschen LandFrauenverband e.V. (dlv)
Der Deutsche LandFrauenverband e.V. (dlv) ist der bundesweit größte Verband für Frauen, die auf dem Lande leben, und deren Familien. Ziel ist, die Lebensqualität und die Arbeitsbedingungen im ländlichen Raum zu verbessern. Der dlv vertritt die politischen Interessen aller Frauen in ländlichen Regionen und den Berufsstand der Bäuerinnen.
500.000 Mitglieder, 12.000 Ortsvereine, 22 Landesverbände bilden zusammen ein starkes Netzwerk. Der Verband nutzt seine gesellschaftliche Kraft, um die soziale, wirtschaftliche und rechtliche Situation der Frauen zu verbessern. Präsidentin ist Brigitte Scherb.