April 7, 2016
Viele Praxen von Fachärzten* für Allgemeinmedizin in Niedersachsen stehen leer, es fehlen Fachärzte, die bereit sind, eine Praxis zu übernehmen. Aktuell findet bundesweit nur jeder zweite Hausarzt einen Nachfolger. Es zeichnet sich ab, dass sich diese Tendenz in Zukunft noch verstärken wird.
Wenn diese Entwicklung nicht durch regulierende Maßnahmen gestoppt wird, werden die Konsequenzen für die Bevölkerung im ländlichen Raum fatal sein. Gerade für ältere Menschen und Familien mit Kindern stellen kurze Wege zur nächsten Hausarztpraxis eine wichtige Bleibeperspektive dar. Notfallversorgung muss zu jeder Zeit gewährleistet sein. Personen, die krankheits- oder altersbedingt auf Hausbesuche angewiesen sind, müssen darauf vertrauen dürfen, dass sie medizinisch versorgt werden.
Die medizinische Versorgung der Zukunft im ländlichen Raum braucht neue Vorzeichen. Der Niedersächsische LandFrauenverband Hannover (NLV), der LandFrauenverband Wester-Ems, Interessenvertretungen für Frauen und ihre Familien im ländlichen Raum mit insgesamt rund 100.000 Mitgliedern, und die Niedersächsische Landjugend mit rund 10.000 Mitgliedern haben ein 9-Punkte-Programm für die medizinische Versorgung der Zukunft in ländlichen Räumen zusammengestellt. Die Ziele müssen ein engmaschiges Versorgungsnetz und eine gute Vernetzung der Standorte sein. Die Akteure im Gesundheitswesen werden das nicht allein schaffen, vor allem ist die Politik gefragt.
1. Arztpraxen und Arbeitsbedingungen
Fachärzte für Allgemeinmedizin brauchen gute Arbeitsbedingungen. Alte Praxen sind in der Regel renovierungsbedürftig. Es ist für junge Ärzte oder Ärzte, die aus anderen Arbeitsbereichen in den ländlichen Raum kommen, deshalb nicht mit einer (hohen) Ablösesumme getan, wenn sie eine Praxis übernehmen, Modernisierungskosten kommen hinzu. Diese hohen Ausgaben, die in der Regel mit hoher Verschuldung verbunden sind, stellen ein unternehmerisches Risiko dar. Dieses lässt Ärzte davor zurückschrecken, eine Praxis im ländlichen Raum zu übernehmen.
Die Voraussetzungen dafür, dass die Übernahme leichter wird, muss die Politik schaffen. So sind zum einen Neugründungen und Übernahmen inhabergeführter Praxen zu fördern, Zum anderen sind Kommunen sind als Träger der Praxen im ländlichen Raum wünschenswert, sie brauchen ebenfalls erhebliche finanzielle Zuschüsse von der Landesebene bei Übernahme oder Neugründungen von Praxen
Praxen mit Kommunen als Träger sollen vorrangig Gemeinschaftspraxen sein. Hier sollen Ärzte im Angestelltenverhältnis arbeiten können. Gemeinschaftspraxen schaffen Möglichkeiten der Arbeitsteilung, gegenseitige Unterstützung, familienfreundliche Arbeitsverhältnisse in Teilzeit sowie weniger Wochenendschichten und weniger Hausbesuche.
2. Kommunale Infrastruktur-Voraussetzungen
Auch die Familien der Fachärzte für Allgemeinmedizin brauchen gute Bedingungen. Dazu gehört die Sicherstellung der qualitativ hochwertigen Kinderbetreuung, das heißt vor allem, die Garantie auf einen Krippen-, Kindertagesstätten-, Kindergarten- und einen Hortplatz. Je besser die Infrastruktur einer Kommune ist, das heißt, je besser die Infrastruktur und die Versorgung mit den Dingen der täglichen Daseinsvorsorge, desto eher wird sie auch medizinischen Nachwuchs anziehen. Kommunen müssen sich dementsprechend in der Öffentlichkeitsarbeit von ihrer besten Seite präsentieren.
3. Entlastung durch nichtärztliche Praxisassistenten
Viele Arbeiten können speziell ausgebildete nichtärztliche Praxisassistenten, zum Beispiel als Modelle „MoNi“ oder „AGnES/VERAH“ bekannt, übernehmen, vor allem Hausbesuche. Diese Modelle sollten umfassender zum Einsatz kommen.
4. Vernetzung
Der Informationsaustausch zwischen Fach-, Haus- und Klinikärzten sowie Pflegediensten muss verbessert werden, um Behandlungen besser aufeinander abstimmen zu können. Das spart Zeit und setzt Kapazitäten frei. Hierfür müssen digitale Datenbanken geschaffen werden, die den Austausch verschiedener Akteure im Gesundheitswesen über die patientenrelevante Versorgung ermöglichen.
5. Breitbandversorgung für Telemedizin
Die flächendeckende Breitbandversorgung muss überall gewährleistet sein, um die Möglichkeiten der Telemedizin auszuschöpfen. Nötig sind Hochleistungsnetze bis zu 200 Mbit/s auch in ländlichen Regionen. In der medizinischen Ausbildung muss ein Schwerpunkt auf die Telemedizin gelegt werden. Denn mithilfe der Telemedizin kann der Patient so lange wie möglich zu Hause sein.
6. Vergütung
Der finanzielle Rahmen muss für die Ärzte über die Praxisübernahme hinaus stimmen. Es muss neue Finanzierungsmodelle für Ärzte in dünn besiedelten Regionen geben. Die Vergütung für Fachärzte der Allgemeinmedizin in unterversorgten Gebieten muss deutlich erhöht werden. Gendergerechte Bezahlung muss selbstverständlich sein.
7. Imageverbesserung
Der Beruf des Facharztes für Allgemeinmedizin muss im Studium und in der Assistenzarztausbildung attraktiver gemacht werden, um das bestehende Generationenproblem zu überwinden und mehr Medizinstudenten in diese Fachrichtung zu bringen. Dazu gehören auch attraktive Möglichkeiten der Weiterbildung.
8. Zugang zum Medizinstudium
Im Medizinstudium muss eine angemessene Anzahl an Studienplätzen für Studierende, die auf dem Land praktizieren möchten, vorbehalten sein. Die Ausbildung zum „Landarzt“ darf jedoch kein Studium „zweiter Klasse“ sein, die Studieninhalte müssen grundsätzlich dieselben sein wie im regulären Studiengang Medizin. Die Verpflichtung, auf dem Land zu praktizieren, kann nach einem angemessenen Zeitraum aufgehoben werden. Außerdem muss das Medizinstudium Pflichtpraktika auf dem Land umfassen.
9. Bedarfsplanrichtlinie anpassen
Der Begriff der „Unterversorgung“ in der Bedarfsplanrichtlinie muss enger gefasst werden, um Notständen – auch sich anbahnenden zukünftigen Notständen – schneller entgegenwirken zu können. Bereits eine Region, deren Versorgungsgrad mit Ärzten unter 90 Prozent (tatsächliche Arztanzahl gegenüber Ziel der Kassenärztlichen Vereinigung) gilt als unterversorgt, nicht wie aktuell erst ab 75 Prozent.
*Die maskuline Form bei Ärzte und Ärzte für Allgemeinmedizin steht als Oberbegriff für beide Geschlechter.
Hannover, Januar 2017
Anlagen